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Kulturschock

  • 24. Sept. 2023
  • 2 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 4. Okt. 2023



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Wir halten uns hier gegenseitig in Schach, das kleine Mädchen und ich.

„Na klar, du kommst aus Deutschland“, lacht sie mich an, wobei sie mit ihrem Zeigefinger auf meine Füße zeigt. Schuldbewusst schaue ich hinunter auf meine Schuhe. Die gut gelaunte Göre bewegt fröhlich ihre nackten Zehen vor mir im Sand und deutet auf meine robusten Gesundheitssandalen.

„Vielleicht komme ich aus Holland oder Dänemark“, verteidige ich mich, „die sprechen so wie ich und tragen auch solche Schuhe.“

„Nein, du bist aus Deutschland, for sure, das sieht man doch.“


Wir sind auf Bruny Island, einer kleinen Insel im Südosten Tasmaniens, stehen an einem makellosen Sandstrand, im Rauschen der sanften Brandung, am Ende der Welt – und ich fühle mich ertappt. Das Mädchen mit den wunderbar wirren Zöpfen scheint ein echtes Inselkind zu sein und während ihr Hund sich in den seichten Schaumwellen vergnügt, befasst sie sich hingebungsvoll mit meinem Schuhwerk.

„Und die da drüben“, kräht sie munter weiter und zeigt auf ein älteres Paar von Muschelsuchern in einiger Entfernung, „das sind auch Deutsche.“ Triumph in der Stimme. Sie hat Recht. Es sind unsere Besucher.

„Aha, und woher weißt du das?“ Neugierig geworden beuge ich mich zu ihr.

„Das ist doch klar“, kommt es ein wenig zischelnd durch die Zahnlücke, „schau doch mal – deine Socken! Und du trägst Sandalen!“ Ganz verzückt wirbelt sie herum und saust zurück in die Wellen.

„Socken in Sandalen“, kicher, kicher, „das machen nur die Deutschen!“

Kulturschock – nun weißt du, wie sich das anfühlt.


Was immer du auch darüber lesen magst, in der sicheren Entfernung deiner Heimat Deutschland, es sind nicht die sprachliche Barriere oder die geographische Lage, nicht die seltsame Tierwelt, die befremden können beim Ankommen in der Ferne. Vielmehr die Selbstverständlichkeiten unseres Alltags sind es, die hier in Frage gestellt werden, wie Sandalen ohne Socken oder Osterglocken, die im September blühen - es ist nicht wirklich aufregend, hinterlässt allerdings ein vages Gefühl dafür, dass etwas nicht in Ordnung ist.

Und weißt du auch, wie sich deine Seele fühlt, wenn die Weihnachtsbäckerei in zunehmender Hitze an sonnendurchtränkten Abenden ablaufen soll; wenn das Gras eines ganzen Kontinents im Dezember braun wird und nach Wasser verlangt, du aber nach einem grünen Weihnachtsbaum suchst?

Richtig verloren jedoch fühlst du dich viel später, wenn du erlebst, dass die Sonne morgens von Osten gegen Mittag nach Norden wandert - das ist eine klimatische Ungeheuerlichkeit, die jeglichen Sinn von Ordnung beleidigt.

Gerade weil meine Wurzeln in der Heimat des Nieselregens liegen, haben also ordentliche Socken in Birkenstocks etwas mit berechtigtem Misstrauen gegen das Wetter zu tun. Wie aber erklärst du das einem Kind der Wellen und des Lichts, hier in Tasmanien, unter blauem Himmel, im Meeresrauschen am feinen Sandstrand?

Genau genommen, machen Socken hier wohl wenig Sinn.



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