Im Wilden Westen oder das schöne Gift
- alq504
- 8. März 2024
- 5 Min. Lesezeit

Neulich habe ich eine echte Giftschlange getroffen. Sie war sehr höflich und ich lebe noch.
Man kann es durchaus ein Treffen nennen, denn die Schlange wusste genau, wen sie da vor sich hatte in ihrem Terrain. Ich habe sie nur nicht bemerkt, da vor mir im Gras, bis neben mir HerrIngenieur ganz ruhig sagte: „Da ist eine Tiger Schlange.“
„Hähä, jaja, Tiger Schlange – hör auf, darüber macht man keine Witze!“
„Mache ich auch nicht . . .”
Wir befinden uns in den Central Highlands und sind auf dem Weg quer durch Tasmanien in den berühmten Wilden Westen. Es sind etwa 300 Kilometer nach Strahan durch wenig besiedeltes Land - einige kleine Häuseransammlungen und Schafe, kaum Verkehr. Die Landschaft wechselt von trockenem Busch zu hohen dichten, feuchten Wäldern bis hin zu wunderschönen, weiten Grasflächen; kein Mensch soweit das Auge reicht.
Ich möchte das anmutige Button Grass fotografieren, das sich über die Ebenen des Lyell Highway zieht, kleine hübsche runde Büschel mit seltsamen Blüten und Samenständen.

Wir halten direkt am Straßenrand, ist eh keiner da, alle halbe Stunde ein Auto, und ich steige „mal kurz“ aus, gehe auf die Grasnarbe auf der anderen Seite zu und schaue über die scheinbar endlose Weite der Hochebene, atme tief durch ob solcher Größenordnungen, neben mir HerrIngenieur schaut auf den Boden und - wie gesagt:
“Da ist eine Tiger Schlange.”

Die Schwarze Tigerotter, siehe auch
Natürlich kann man das nicht ernst nehmen, nicht so nahe an der Straße; Schlangen sitzen nämlich irgendwo im Busch, bei Wasserquellen oder unter toten Baumstämmen, dort weit draußen zwischen den Gräsern, da eben, wo sie keiner stört - Frau Lehrerin hat das Gesamtbild im Kopf parat.
Und doch, da vor meinen Füßen, unter Grashalmen entdecke ich nun auch das dunkle Wesen, das gerade aus seinem kuscheligen Nest hervorkommt, es bleibt ruhig liegen, schaut mich an, so fühle ich, beurteilt die Lage und schlängelt sich sehr elegant in aller Ruhe weg von mir unter das nächste Grasbüschel. Zwischen Angst und Neugier drücke ich den Auslöser und hoffe, dass sie das Klicken nicht stört (wie dumm kann man sein, frage ich mich später).
Das schöne Gift verharrt kurz, dreht den Kopf zu uns, vollkommen gelassen, sehr geschmeidig zieht sie davon und verschwindet im Gebüsch .
Sehr vorsichtig treten wir den Rückzug an.
Zugegeben, die Schlange hatte die Lage im Griff, ich habe nur vor Schreck erstarrt abgewartet, und Herr Ingenieur hat wahrscheinlich die technischen Details kalkuliert: einige Stunden entfernt von jedem Krankenhaus, also keine Ambulanz rufen, sondern gleich den Rettungshubschrauber, die 000 wählen, was wenn das Handy keinen Empfang hat, achja der Notruf soll ja immer gehen, oder?
“Holy Moly! Was war das denn!”
Wir sitzen wieder im Auto, Erleichterung mischt sich mit Empörung, aber über wen genau will ich mich ärgern?
Auch wenn Tasmaniens Schlangen nicht aggressiv sind, wollten wir doch nicht weiter nachforschen, selbst im Auto fühle ich immer noch das Geschlängele da vor mir.
“Los jetzt - weg von hier!”, sage ich und Herr Ingenieur gibt Gas.
Damit nicht genug; etwa 100 Meter weiter nach der nächsten Kurve liegt eine große, ausgewachsene, dunkle Schlange mitten auf der Straße - tot, überfahren!
Was ist das hier? Wie gelingt es der Schlange, überfahren zu werden bei den wenigen Autos, die hier durchkommen? Oder hat es etwa so viele Schlangen?
Um das Bild abzurunden, noch dies: wenige Wochen danach machen wir die Fahrt ein zweites Mal, die Wildnis lockt erneut. Auf der selben Anhöhe angekommen erinnern wir uns mir wohligem Grausen an den Moment, als wir die Tiger Snake sahen.
“Weißt du noch , wie ich da drüben . . . “, sage ich und er:
“Diesmal steigen wir aber nicht aus, haha, nee bloß nicht!”
Da kommt etwas in unser Blickfeld vor uns mitten auf der Straße: mit dem hellen Bauch nach oben, schön groß und lang aber auch sehr tot liegt sie da, eine Tiger Schlange, wieder platt gefahren.
“War das etwa wieder . . . ?”
“Ja, eine tote Schlange!”
HerrIngenieur tut ganz fachmännisch, als hätte er schon immer reichlich Erfahrung mit sehr giftigen Wesen auf der Straße . . .
Kurz danach nähern wir uns den Nelson Falls, da fällt ein kleines Hinweisschild am linken Straßenrand unter grünen Baumwipfeln auf. “Snake Creek”, sagt es, also ein Bach mit Schlangen.
Machen die Witze! Wer will das denn jetzt noch wissen!!
“So, nun ist auch mal gut mit den Central Highlands und einsamen Straßen”, entscheide ich kategorisch, “Schluss, aus, fertig!”
Um ehrlich zu sein, muss noch erwähnt werden, dass ich in mehr als 30 Jahren auf Reisen durch Tasmanien insgesamt vier Giftschlangen gesehen habe, davon drei in wenigen Wochen auf diesem Straßenabschnitt.
Merke: Auf dem Lyell Highway (unten) zwischen Donaghys Hills und Nelson Falls nicht anhalten, kein Foto machen, keine Pause, einfach durch und nix wie weg!
Nebenbei bemerkt: Holy Moly = Heiliger Strohsack

Tasmaniens Westküste in Bildern
Auch wenn dies hier kein Reise-Blog ist, so muss doch etwas zur Westküste auf Tasmanien gezeigt werden. Im Gegensatz zum eher mediterranen Osten der Insel zeigt sich der Westen kühl, einsam, rau und überwältigend.
Für interessierte Globetrotter füge ich noch eine website an, die Google auch ins Deutsche übersetzt (Kästchen oben links auf der website)



Oben: Unterwegs nach Queenstown
Rechts: Feuchte Wälder, Moor und Grasebenen
Unten: Ocean Beach, 40 km lang, die Wellen rollen ungehindert von Patagonien in Südamerika an - sehr stürmisch, sehr kühl und teilweise mit Quicksand!


Strahan, Ocean Beach, er will sich bewegen, sie holt sich nasse Hosen
Unten: Lake St. Clair am berühmten Overland Treck,
Central Highlands



Oben: Buschfeuer in Strahan und rechts der Hubschrauber beim Wasser holen und Löschen
Unten: In diesem kleinen Nest, Strahan, mit etwa 600 Bewohnern finden wir einen deutschen Bäcker!




Auf dem Weg ins Nirgendwo,
Zeehan und Trial Harbour.
Hier ist nichts mehr, kein Handy-Empfang, kein Verkehr, keine Stromleitungen. Es sollen aber Menschen dort leben.
Unser Yeti hält durch auf der Sandpiste

Geschafft! Nach rund 40 Minuten Anfahrt haben wir es gefunden, Trial Harbour, hier gibt es tatsächlich Leute, Häuser, Kinder, man geht fischen, schwimmen und surfen!
Meist sind es Lobsterfischer und Minenarbeiter mit ihren Familien. Wir waren uns einig, dass Verwaltung und Polizei hier wohl nicht viel zu sagen haben . . . , von Kriminalität hört man allerdings auch nichts; Trial Harbour regelt das wohl auf seine Weise.
Wir haben uns gut aufgehoben gefühlt.



Links: Ein Walross am Ortsausgang
Oben: Lobster-Parade im Ort. Damit verdient man sehr viel Geld. Credit: AirBnB Tamrock, Trial Harbour


Links: Friedhof in Zeehan,
verstreut unter hohen Bäumen liegen die Gräber; hier ruht man wirklich in Frieden,
auch ohne Friedhofsordnung.
Unten: es geht weiter zur Highland Lakes Road, ein echtes Abenteuer!
Die Distanz in Zeit statt Kilometern.

Central Great Lake - da ist es doch auch schön, oder?
Und es war ein Samstag , wo sind die Touristen?



Noch so eine Kuriosität, die Post im hohlen Baum
mitten in der Wildnis, daneben ist eine Zufahrt, also lebt hier jemand.

Und tschüss!


