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Gone Walkabout

  • alq504
  • 30. Aug. 2024
  • 5 Min. Lesezeit

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Wenn Aborigines eine Auszeit nehmen, dann gehen sie walkabout.

Was ursprünglich mal ein rein kulturelles Ritual der australischen Ureinwohner war - Teenager verlassen ihren Stamm, um mehrere Wochen allein im Busch zu verbringen - ist heute salopp in die Umgangssprache aufgenommen worden; jeder, der mal nicht gefunden werden oder nur seine Ruhe haben möchte, für ein paar Tage Urlaub macht, der ist möglicherweise gone walkabout, etwa so:

“Where is Joe?”

“Gone walkabout.”

Garantiert keine weiteren Nachfragen.


Es ist also die offiziell respektierte und sehr geschätzte Herumtreiberei, warum und wo auch immer. Und wenn der Kontinent Australien für eines bestens geeignet ist, dann ist es die ziellose, genussvolle Herumtreiberei.


Foto oben: Das Aboriginal Memorial in der National Art Gallery Canberra - https://nga.gov.au


Der Anfang à la German

So geht es los mitten im Winter zum großen Walkabout auf dem Festland Australien, der Yeti wird gepackt . Monatelang ist dieses road tripping von Tasmanien aus in der Planung:

6 Stunden von Bruny Island zur Fähre im Norden nach Melbourne

12 Stunden Überfahrt in einer Kabine

3 Stunden von der Fähre durch den Morgenverkehr in Melbourne

3 Stunden zur ersten Unterkunft in Nungurner and der Südostküste


Es handelt sich dabei um “kurze” Strecken von 400 - 500 Kilometern. Das alles macht ein deutscher Tourist nicht so einfach mal hoppla-di-hopp, nein, dazu braucht man Schlafsäcke, Proviant, kleines Werkzeug, Verbandskasten (was, wenn wir uns verirren, kein Internet haben, was wenn das Benzin nicht reicht). Die Liste der “was-wenn-Möglichkeiten” ist endlos.

Dann aber ist alles umsonst: die Abenteurer werden krank, liegen mit Fieber im Bett, alles wird abgesagt; dann wieder neu gebucht - ja , wir können das gut, wir Deutschen, die Sache so kompliziert wie möglich machen.

Am Ende, immer noch ziemlich matt, lassen wir das Planen und machen es australisch: am Abend vor der Abfahrt wird die Reisetasche gepackt, Thermoskanne darf mit, Handy und Laptop, HerrIngenieur schmuggelt einen kleinen Gaskocher dazu, das war’s, nach mir die Sintflut - after me the deluge!


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Zwei auf großer Fahrt, in der Kabine der Fähre

"Spirit of Tasmania" ;

im Hafen von Devenport unten


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Weit - weit - viel zu weit!


“Ninety Mile Beach” sagt das Schild am Straßenrand, das sind etwa 150 Kilometer Strand.

Dazu ein wolkenloser Himmel in kühlem Blau - endlos. Und grüne Wiesen soweit das Auge reicht. Man sieht, wo die Kuhweide anfängt, doch wo sie endet, nämlich im Nirgendwo, das sieht man nicht mehr.

Das ist das Festland Australien. Weit, weit, viel zu weit für das menschliche Auge und erst recht für den Verstand. Das europäische Augenmaß kann diesen Landschaften nicht gerecht werden. 


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Wunderschöne Landschaften im Südosten Australiens, östlich von Melbourne

Gippsland mit Bergen, Seen, Stränden, Bauernhöfen


Unten: Gippsland Art Gallery in Sale mit der Textil-Künstlerin Annemieke Mein. Das linke Objekt besteht aus Kleideretiketten



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Und dann kommt ALDI

Tatsächlich, wir haben Aldi gefunden, den es in Tasmanien nicht gibt.

Und der Yeti ist plötzlich voll mit Zeugs, der Gaskocher bewährt sich bei der ersten Kaffeepause mit Haribo einerseits und schwarzen Schwänen andererseits am Meer bei Metung.

Ach Aldi, in Deutschland habe ich mich nie, absolut nie, nach Aldi gesehnt, aber hier  auf der Südhalbkugel berührt es die deutsche Seele - alles ist so vertraut, endlich gibt es ordentlich "Schnääkes", wie der Pfälzer sagt!

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Zufrieden mit dem Nichts

Es soll ein Ausflug nach Buchan im Snowy River National Park werden. Die zweistündige Fahrt hoch in das Dorf in den Bergen verläuft ruhig und fast ohne weitere Autofahrer auf den Straßen. Zwischendurch kommentiert der Navi im Auto überschlau, hat aber die Richtung verloren . . . , HerrIngenieur sagt, er habe einen Kompass im Kopf, "und der stimmt."


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 Foto Buchan: credit:Visit Victoria


Endlich zeigt sich Buchan dann doch, ein kleiner Ort von unaufdringlichem Charme unten an die Hügel geklebt. Menschen - nicht vorhanden.

Doch das Städtchen ist nicht nur menschenleer, es ist auch alles geschlossen - Hotel, Tropfsteinhöhle, Café, nichts geht. Was hat uns dazu gebracht, mitten im Winter loszufahren?


Zurück nach Nungurner soll es nun auf einer kleinen Straße gehen, die sich "so ganz malerisch durch die Landschaft zieht" und sich Kurve um Kurve in Richtung Meer schlängelt. Und noch einmal heißt es: eintauchen in die Weite, das Grün, die Stille, Kilometer weit nichts als Wald, Wiesen, Berge, dann zum Glück ein paar Kühe auf der Straße, ebenfalls going walkabout, die wandern da ein wenig durch die Gegend.

“Da muss es doch den Bauernhof dazu geben . . . “ Nein, nichts.


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Für eineinhalb Stunden Fahrt, das sind geschlagene 90 Minuten! sind wir das einzige Auto auf der kleinen Straße mit den malerischen Kurven, kein Haus, nicht mal ein Känguru.

“Also ich wäre jetzt bereit, die Straße mit einem anderen Auto zu teilen”, sage ich zu HerrIngenieur.

Schweigen. Bäume, Berge, Abgründe.


Nach weiteren 20 Minuten sagt HerrIngenieur:

”Doch ja, auch ich könnte mir durchaus ein zweites Auto hier auf der Straße vorstellen.”

Und kurz danach:”Oder vielleicht sogar ein Haus! Irgendwo . . . “

"Na, nun übertreib mal nicht!"

Auch friedliche Eukalyptuswälder und Viehweiden ermüden die Augen irgendwann, doch das Schicksal hat Erbarmen, denn um die nächste Kurve kommt ein Pickup - direkt aufregend - und der Fahrer freut sich, winkt offensichtlich gut gelaunt herüber, vielleicht ist er unterwegs zu den wandernden Kühen.

Die Glückssträhne hält an: nach 10 weitere einsamen Minuten steht ein Haus alleine auf seinem Hügel, Rauch kommt aus dem Kamin, also lebt hier jemand, und wie’s der Zufall will, finden wir nebenan einen Rastplatz mit Blick auf einen hübschen Fluss, wir halten, kochen Kaffee auf unserem Gaskocher. Menschen sehen wir nicht, aber man kann nicht alles haben, wir sind zufrieden in dem Bewusstsein, wieder zur Zivilisation gefunden zu haben.



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Kaffeepause auf einem abgeschiedenen Rastplatz.

Darauf ist eine Art Haltestelle im grünen Plastikhäuschen für den Schulbus aufgestellt, ein Kind kommt wohl mit dem Fahrrad zur Haltestelle . . . wie einsam dieser Schulweg sein muss!









Zum Abschluss und vollkommen erschöpft von so viel Ereignislosigkeit enden wir in einem Café in Metung. Der Besitzer Stellios ist Grieche, spricht gleich Deutsch mit uns und sagt so nebenbei: "Bei euch da oben, ist da nicht Krieg?"

Ja doch, da oben bei uns auf der Nordhalbkugel ist Krieg, in der Ukraine und ebenso in Israel.

"Oh dear, da auch - die Wahnsinnigen! Wie gut es uns hier doch geht."

Da können wir nur zustimmen.

"Und die Leute hier wissen auch nicht wirklich, was da bei euch los ist", sinniert Stellios vor sich hin, als er das dicke, fette Croissant zu HerrIngenieur schiebt.

"Und wisst ihr was, diese Unwissenheit ist ein Segen!" Ignorance is bliss.

Tja, da lässt sich durchaus drüber philosophieren.


Meine Gedanken rufen den Tag nochmal ab, die Suche nach Erlebnis und Aufregung, nach einem immer noch schöneren Fleckchen endet letztlich im grandiosen Nichts: nichts entdeckt haben, niemand getroffen haben, nichts getan haben . . . Wiesen in ungeheurer Größe, genauso die hohen Bäume, einsame Straßen, muntere Kühe und üppige Landschaften, aber eigentlich war da - nichts. 

Dafür, dass es so viel Nichts hat in Australien, ist es wiederum sehr schön.



Demnächst:

Ein Koala namens Matilda oder Some like It Hot!


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