Die Axt im Haus
- 23. Sept. 2023
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 4. Okt. 2023

Trotz der Nähe zur Antarktis soll es nicht wirklich kalt sein auf Tasmanien: gemäßigte Temperaturen mit viel Sonne und einer milden Meeresbrise werden für mediterranes Flair sorgen, ganz so, wie wir uns das im nasskalten Deutschland ausgemalt hatten. „Wir liegen auf dem gleichen Breitengrad wie Rom“, hatte mein schlauer HerrIngenieur erklärt und optimistisch mit dem Finger in Richtung Italien gewedelt. „Und du weißt ja, wie viel Sonne die Römer haben . . .“
Ja doch, die Römer und viel Sonne klang verheißend vor der Abreise auf der Nordhalbkugel; dennoch sitze ich dann im September auf der Südhalbkugel ein wenig fröstelnd in unserer romantischen Buschresidenz südlich von Hobart, gerade eben eingezogen und gewappnet mit den besten Vorsätzen, mich „richtig“ einzuleben; meine beiden Koffer, bar jeglicher Winterkleidung, für die nächsten sechs Wochen vorerst auf mich allein gestellt, HerrIngenieur will etwas später nachkommen.
Zuversichtlich schleiche ich auf der Suche nach einer Wärmequelle durch unser Haus, von jedem Zimmer bietet sich ein atemberaubender Ausblick über Eukalyptuswälder und sanfte Hänge auf die blaue Meeresbucht. Meine Gedanken bewegen sich in Richtung Zentralheizung. Wir haben hier keine. Auch auf der ganzen Insel wird Derartiges nicht oft zu finden sein, man heizt ganz traditionell mit Holz oder auch mit einer Wärmepumpe. So besehen, entpuppt sich unser neues Zuhause erst einmal als kühle Schönheit.

Hinter dem Haus lagert allerdings ein großer, scheinbar unbezwingbarer Berg von Feuerholz, schöne große Stücke, die irgendwie den Weg in einen kleinen Holzofen in der guten Stube finden sollten. Eine große Axt lehnt einladend am Holzhaufen. Ich versuche die Lösung dieser Gegebenheiten auf deutsche Art und denke gründlich nach. Es bleibt unangenehm kühl. Dann mache ich mich auf den Weg in einen Supermarkt und kaufe ein kleines Heizgerät.
„Es ist September, das weißt du doch“, spreche ich mit mir, „und sie sagen hier, dass das Frühling ist, also muss es ja bald wärmer werden.“
Die Sache mit dem Frühling ist mir noch nicht geheuer, wissenschaftlich zwar einwandfrei erklärt – auf der südlichen Halbkugel ist alles andersherum – aber für mein Gefühl macht es keinen Sinn. Auf dem Heimweg, mit dem Heizgerät im Kofferraum, sehe ich die ersten Osterglocken in den kleinen Vorgärten der Umgebung blühen, Schneeglöckchen und Krokusse sagen mir, dass der Frühling naht. Mein Herz sagt „Schau weg, denk nicht darüber nach, dass von nun an die Osterglocken im September blühen – und was mache ich dann an Ostern, das liegt ja dann im Herbst . . .“ Mir schwirrt der Kopf, aber ich habe ein Heizgerät!
Ein paar Tage später, biegt eines Morgens ein kleines, verbeultes Auto in die Einfahrt weiter oben am Weg. Unser Haus liegt auf einem Hügel verborgen hinter hohen Eukalyptusbäumen, grauen Felsen und einigen Kuhweiden; Sichtkontakt zu den Nachbarn gibt es nicht. Und hier tuckert ein altes klappriges Etwas auf unsere Haustür zu. Ich bin allein. In Deutschland hätte ich nun hinter der Gardine abgewartet, hier habe ich keine Gardinen.
Ein älterer Mann winkt freundlich hinter dem Lenkrad hervor und steigt aus: „Hallo, wie geht’s denn so?“ höre ich ihn rufen und während ich etwas zögerlich die Haustür öffne, stellt er sich als Nachbar von der anderen Talseite vor: da steht Peter in alten sauberen Jeans, ein verwaschener Wollpullover, darüber ein großartiger Schnauzer und darüber viele, freundliche Lachfalten. Er will mal hören, wie es so geht, keineswegs aufdringlich, aber voller Anteilnahme bietet er seine Hilfe an, falls denn nötig . . . ein tasmanisches Willkommen.
Einigermaßen beruhigt bitte ich ihn in die Küche zu einer Tasse Kaffee, „sobald ich eine Steckdose für das Heizerchen hier gefunden habe.“ Das kleine Gerät ist mir inzwischen sehr ans Herz gewachsen.
„Soso, was stimmt denn nicht mit dem Ofen dort hinten?“ erkundigt er sich vorsichtig mit einem Blick auf das schwarze Ungetüm in der Ecke.
„Ach, der ist schon in Ordnung, es ist nur das Holz da draußen, das ist zu groß, die haben wohl die falsche Größe geliefert.“
„Yeah right, . . . die falsche Größe, hmm“, nickt er zustimmend und zieht vor meinen Augen, hier in meiner Küche, in aller Ruhe seinen Wollpullover aus. Mir wird warm und mulmig.
„Excuse me . . .“, höre ich ihn noch murmeln und dann geht er ohne weitere Worte nach draußen zu dem Berg von Feuerholz, packt die Axt und hackt Kleinholz. Hier und jetzt, in seinem Unterhemd praktiziert er die tasmanische Art von Problemlösung.
„Äh hallo, entschuldige bitte, . . . hallo . . .!“, rufe ich ihm von der Veranda zu und versuche, so unbefangen wie möglich zu klingen, „also bitte, das ist doch nicht nötig . . .“
„Kann doch eine Frau da drinnen nicht frieren lassen“, sagt er zwischen zwei kräftigen Hieben, „ist sowieso keine Arbeit für Frauen“, grummelt er weiter, wobei er in steter Geschwindigkeit ausholt und die Axt niedersausen lässt. „Mach du mal inzwischen Kaffee.“
Bei der letzten Bemerkung werde ich zwar hellhörig – es klingt doch ziemlich gutväterlich. Aber die Darbietung von Muskeln und männlicher Fürsorge in so greifbarer Nähe wiegt mich in Sicherheit, weckt die falschen Sinne in mir. Sollte er mir Böses wollen, würde er nicht erst Holz hacken, oder? Mit seinem dunklen Schnauzbart und den fliegenden Oberarmen sieht er so fit und zuverlässig aus, wie mein hauseigener Crocodile Dundee made in Tasmania - das hat nun mal nichts mit Vernunft zu tun. Zufrieden mache ich mich ans Kaffeekochen.
Und fühle ich mich etwa nicht gut aufgehoben, als er Ladung um Ladung von Kleinholz ins Haus transportiert? Alles was ich zu tun habe, ist, ihn gewähren zu lassen, na also . . . geht doch! In weniger als einer halben Stunde knistert ein hübsches Feuerchen, und ich schaue zufrieden auf einen soliden Vorrat an Feuerholz, in der richtigen Größe.
„Nimm es mir nicht übel“ sagt er, „aber du musst dein Auto in der Richtung zur Straße parken – falls du mal schnell wegmusst, na bei Buschfeuer oder so . . .“
Ja, natürlich, weshalb denke ich selbst nicht an solche Sachen! „Buschfeuer“ rast es in meinem Kopf, was macht man da . . .? Als ich an diesem Abend in einem ältlichen Sessel in unserem fast leeren Haus beim Feuer sitze, hat es etwas Zauberhaftes: hinter den Hügeln in meinem Rücken geht die Sonne unter, die letzten rosa-roten Strahlen züngeln über die grau-blaue Meeresbucht vor mir. Mehrere kleine Inseln liegen wie zufällig eingestreut weiter draußen im Meer, alles liegt in vollkommener Ruhe und Abgeschiedenheit.
Und ich denke darüber nach, was ich meinem neuen Nachbarn schuldig bin, ob ich seine Hilfe mit Geld bezahlen kann oder soll ich ihm einen Kuchen backen – ach wie deutsch ich mich plötzlich fühle! Es kann doch nicht sein, dass er einfach so, ohne Hintergedanken, Schwerstarbeit für eine Fremde verrichtet.
Und doch - Peter kommt weiterhin während der nächsten drei Wochen zum Holzhacken, es ist sein Sinn von Nachbarschaftshilfe, und ich hüte mich, von Geld zu sprechen.
„Wenn dein Mann hier ist, wird es dir besser gehen“, sagt er zwischendurch, „er wird dann gut auf dich aufpassen.“
Tatsächlich – würde er das, frage ich mich. Ich erinnere mich an den Typus Mann in Deutschland, aber an keinen der „gut auf seine Frau aufpassen“ will. Gebildete, sensible Männer, ja das schon, sie konnten über den Aktienkurs so gekonnt palavern wie über das neueste Theaterstück; Bilanzen diskutieren, Fitness-Studios aufzählen und was dieser deutsche Mann am meisten liebte, uneingeschränkt und leidenschaftlich, war das neueste Handy.
Ist es möglich, so frage ich die Flammen in meinem Ofen, dass diese andere Spezies, ein fürsorglicher männlicher Held, unbeeinflusst von weiblicher Emanzipation, noch existiert, möglicherweise hier im tasmanischen Busch?


