Der kalte Süden
- alq504
- 20. Sept. 2023
- 4 Min. Lesezeit

Du bemerkst es nur, wenn du genau hinschaust: In Tasmanien wandert die Sonne am Mittag in die falsche Richtung. Jaja, wirst du sagen, weiß ich doch – denn du bist wie die meisten Deutschen ein Kopfmensch und weißt tatsächlich vieles.
„Natürlich leben wir dann dort auf der Südhalbkugel“, sage ich zu HerrIngenieur in Deutschland beim Planen des Umzugs nach Australien, „da ist eben alles umgekehrt.“ Na klar, Sommer fällt in den Dezember undsoweiter, undsoweiter . . . so ist die Theorie.
Wenige Tage nach seinem Besuch fallen mir Army Daves freundliche Worte wieder ein:
„. . . vor allem hier die Nordseite wird schön warm sein.“ War das der berühmte australische Humor? Nachdenklich betrachte ich am Morgen bei strahlendem Sonnenschein die „gute Lage“ unseres Hauses. In meiner Erinnerung werden Haus und Garten nach Süden ausgerichtet, um die Wärme einzufangen. Süden – das sind Mittelmeerküsten, blühende Oleander und milde Sommerabende im Freien. Der Norden aber, das ist da, wo man im Garten eine Mauer gegen den Nachbarn baut, wo sich Efeu schuldbewusst mit Moos die Ritzen teilt.

Mein Kayak mit Raureif im Juli
Und nun das! Unser romantisches Domizil prunkt mit einer großzügigen Nordwand, an der meine Rosen einen langsamen, aber sicheren Tod sterben würden. Weshalb ist uns das vorher nicht aufgefallen, frage ich mich, wir hatten genügend Zeit zum Planen?
Einige Tage später, nachdem ich im Geiste bereits mit Dynamit und Feuer gegen Schlangen vorgegangen bin, befasse ich mich mit praktischen Überlegungen zur Isolierung von Haus, Nordwand und Dach. Kurzum, alles soll warm, mollig und schlangenfrei werden und ich spreche beiläufig darüber mit einer Frau aus dem Dorf.
„Mach dir nicht die Mühe, die Nordseite zu isolieren“, sagt sie, „das Haus ist warm genug, du wirst schon sehen, don’t worry.“
Aber nein doch, ich will mir Sorgen machen, und ist es nicht typisch, denke ich, dass „der Tasmanier“ ja ohnehin nichts von gründlicher Isolierung wissen will, denn „die leben ja alle hier glücklich vor sich hin – no worries“, und kein Gedanke an eine propere Heizungstechnik!
Kurz darauf stehe ich im örtlichen Tante-Emma-Laden in der Schlange vor der Kasse an und vertreibe mir die Zeit, indem ich anderen Leuten beim Gespräch zuhöre. „Das ist der Nordwind“, freut sich die Mama mit dem Baby neben mir und schaut begeistert den Staubwolken auf der Straße zu. Hier in dieser Nachrichtenzentrale laufen alle wichtigen Meldungen zusammen. Die Kunden haben auch stets genügend Zeit für ein gutes Gespräch mit Dorothy an der Kasse, nur keine Ungeduld . . .
Endlich bin ich an der Reihe und während ich nun bereitwillig über eine künftige Dachdämmung schwadroniere, sagt die junge Frau hinter mir: „Aber the northerly, my dear, der bringt uns jetzt all die Wärme, die wir brauchen, sag’s ihr, Dorothy!“
Sie präsentiert mir die Neuigkeit in einer Art, die hoffen lässt, dass so etwas Wunderbares wie der Nordwind auch mein Herz erwärmen wird. Auf meiner inneren Uhr ist es allerdings September und daher Herbst und der Nordwind etwas, was abgewehrt werden muss. „Jaja der Nordwind, wie schön“, nicke ich zustimmend und schaue mit scheinheiligem Blick in Richtung Norden. Zu diesem Zeitpunkt habe ich mich damit ausgesöhnt, dass die Menschen hier nun mal keinen Sinn für klare Fakten haben.
Heute noch schäme ich mich, es zuzugeben: aber das war die Zeit, in der ich ernsthaft ein anderes Haus im Süden Tasmaniens gesucht habe.
„Wie gerne würde ich im warmen Meer schwimmen, vielleicht sollten wir nach Verona Sands ziehen.“ Das ist der südlichste Zipfel auf Tasmanien, der in meinen Augen noch bewohnbar scheint.
„Aber wieso denn im Süden“, sagen sie zu mir, immer noch voller Anteilnahme, „mehr Sonne und warmes Meer zum Baden, dafür musst du nach Norden!“
Sie tun ihr Bestes. Sie geben nicht auf. Bleiben freundlich und äußerst geduldig, wahrhafte Tasmanier eben, mit einem ausgeprägten Sinn für guten Humor - vor allem, wenn der Witz genau vor ihrer Nase sitzt . . .
Als ich HerrIngenieur endlich mein Leid klage, immer noch am Telefon, und gestehe, dass ich schon nach anderen Häusern suche, höre ich ein genüssliches Lachen.
„Was gibt’s denn da zu kichern“, pfeife ich zurück, „das ist eine ernste Sache - ein richtiger Kardinalfehler ist das!“
„Sieh mal zu, ob du eine Landkarte in unserem leeren Haus auftreiben kannst, möglichst eine Weltkarte“, sagt er immer noch gelassen.
„Jetzt lenk doch nicht ab, du bist ja schon wie die Tasmanier, no worries und so’n Kram.“
„. . .und auf der Karte gehst du dann mal mit dem Finger zum Äquator . . .“
„. . . sag’ mal, hörst du mir überhaupt zu: unser wunderbares Haus hat überwiegend Nordseite – kalt – hallihallo – eiskalt im Winter!“
HerrIngenieur hat einen untrüglichen Sinn für klare Fakten.
„. . . und dann gehst du mit dem Finger auf die Südhalbkugel, immer nach Süden . . .“, sagt er, „und immer weiter, an Tasmanien vorbei, weiter nach Süden durch den Ozean und dann kommst du . . . “
„In die Antarktis“, schnaufe ich.
„Genau - und wie ist es dort in der Antarktis?“
„Kalt.“
„Richtig, der Kandidat hat 100 Punkte!“
HerrIngenieur dreht jetzt richtig auf: „ . . . und dort ganz im SÜDEN, da ist es sogar sehr kalt.“
Ich versuche es mit respektvollem Schweigen. Nichts da.
„Und jetzt gehen wir wieder zurück, weg von der Kälte, nach NORDEN“, haucht’s durchs Telefon, „durch den ganzen NORDEN Tasmaniens und weiter nach oben in Australien, und da ist der Ayers Rock, in der Wüste, und da ist das Wetter wie . . . FrauLehrerin?“
Jaja, iss ja schon gut! „No worries, alles wird gut.“

Winter in Dunalley oben und der gefrorene Strand unten, im Juli



