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Army Dave gegen Bruce Willis

  • alq504
  • 21. Sept. 2023
  • 5 Min. Lesezeit

Sie nennen ihn Army Dave.

Ein älterer Mann, ehemaliger Soldat einer Spezialeinheit der Australischen Armee und Vietnamveteran, hat sich in den Busch im höheren Teil der Hügel hinter uns zurückgezogen; von dort soll er über unser Tal mit absoluter Zuverlässigkeit wachen, wenn nötig auch mal mit einem Gewehr.

Er gilt nicht als besonders kontaktfreudig, aber als er schließlich mit seinem außergewöhnlichen Vehikel in unsere Einfahrt biegt, fühle ich gleich, dass da eine Autorität auf mich zukommt.

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Ford F-100



Im Schritttempo bewegt sich der uralte, graue Ford auf unser Haus zu, der tief röhrende Auspuff vibriert am Zwerchfell, ein Geräusch, das eigentlich in einen Film gehört. Als sich die Fahrertür mit kontrolliertem Schwung öffnet, sehe ich zuerst seinen Kopfschmuck, ein altes, graues Wollmützchen auf dem kahl rasierten Schädel, es folgen die Beine in braunen Militärhosen, und feste, abgewetzte Springerstiefel schreiten nun gemessen und kraftvoll auf mich zu – mein geistiges Auge sieht gerade Bruce Willis in „Die Hard“.

Die schlanke Figur, die da auf mich zukommt ist allerdings kein Leinwandheld – vergiss es, Bruce - das hier wirst du nie lernen, denn das hier ist echt!


Unbewusst halte ich die Luft an, als er vor meiner Tür steht und mit einer leichten Verbeugung sagt: „Guten Tag, darf ich mich vorstellen, ich bin Dave ein Nachbar von weiter oben.“ Perfekte Sprache, perfekte Manieren. Ich bin sprachlos.

Siehst du, da ist es wieder, das seltsame Gefühl, was Kultur bedeutet. Wo ich herkomme, sagen Kleider und vor allem dein Auto über Leute alles; hier in Tasmanien sagen Kleider und Auto nichts. Deine Sprache und deine Manieren weisen Herkunft und gute Erziehung aus, so einfach ist es.


Ich sehe es an dem verschmitzten Lächeln, dass der Besucher seinen Auftritt wohl überlegt hat - na klar, der bushman ist aus seinem Versteck gekommen, um die Neuen zu beschnuppern; ich kann beruhigt aufatmen.

Meine Einladung zum Kaffee, a cuppa, wird nie abgelehnt, so habe ich inzwischen gelernt, allerdings muss es genau das sein: Kaffee und sonst nichts. Sobald es Kuchen dazu gibt oder irgendein typisch deutscher Aufwand betrieben wird - Tischdecke, Gebäck, Blumen - werden meine ländlichen Besucher unruhig, fast so, als ob die Leichtigkeit einer Plauderei bei zu viel Glanz und Glorie verloren ginge. Wer würde es in Deutschland wagen, einen Nachbarn zum Kaffee einzuladen und genau das auch auszuführen, also Kaffee und sonst nix?


Doch nein, mit ausgesuchter Höflichkeit lehnt Dave ab: „Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich mich erst einmal auf dem Gelände umsehen, aber danach trinke ich gerne eine Tasse Kaffee.“

Und schon beginnt das Herzklopfen wieder: was sucht er denn, wird er verfolgt? Ich ermahne mich - zu viele Tatorts gesehen! - und lasse meinen Besucher gewähren. Während ich Wasser aufsetze und die Tassen anwärme, schaue ich getrieben von gruseliger Neugier der hageren Gestalt durchs Fenster hinterher.

Von anderen Talbewohnern hatte ich es schon gehört: Army Dave wird oft dann von der Polizei hinzugezogen, wenn ein bushwalker verschwunden ist, meist in einem Gelände, in dem Suchtrupps und Spürhunde keinen Zugang mehr haben. „Army Dave findet sie alle wieder“, sagt man, er kenne seine Wege wie die Aborigines ihre Traumpfade.


Mit sicherem Schritt geht er ums Haus, verschwindet kurz im Gestrüpp weiter hinten, wo ich eigentlich nur Brombeeren und hohes Gras vermute, bis ich ihn dann unterhalb des Hauses am Teich und schließlich an meiner Haustür wieder sehe. Er hat etwa drei Hektar Land abgeschritten. Mein Angebot zu Kaffee und Plausch quittiert er mit einer kleinen Verbeugung und einem Lächeln, das seine kargen Züge mildert.

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Von oben nach unten:

Tiger snake

White-lipped Snake

Copperhead

Quelle: nre.tas.gov.au








Ganz heimlich – typisch deutsche Präsentationslust - hoffe ich, dass mein gutes Kaffeegeschirr etwas Eindruck macht.

„Mit den Schlangen musst du da hinten etwas aufpassen“, sagt er so nebenbei mit der teuren Tasse am Mund. Ich halte die Luft an. Schlangen, wie bitte? Echte Schlangen? Wie meint er das?

„Da liegt ein alter, morscher Eukalyptusstamm, in so etwas brüten sie gerne. Aber hier direkt am Haus brauchst du nichts zu fürchten, vielleicht ein paar Blutegel im Gras, jetzt, wo es so kräftig geregnet hat“, redet er ganz ruhig vor sich hin, „aber sonst . . . yeah well, ein gutes Fleckchen Erde habt ihr da, vor allem hier die Nordseite, schön warm, no worries.“


Das sagt hier nur, wer mit sich und der Welt in Einklang ist, no worries ist das australische „alles wird gut“, und bei mir ist gerade gar nichts gut.

Unschlüssig, welcher Schock größer ist – Schlangen, Blutegel oder Nordseite – halte ich mich an meiner edlen Kaffeetasse fest und tue so, als ob das alles kein Problem wäre. Habe ich tatsächlich eben noch über Porzellan nachgedacht, während ich eigentlich, ach was: tatsächlich fast täglich in Lebensgefahr schwebe?

Army Daves friedliches Gesicht steht allerdings in krassem Gegensatz zu seinen Worten, da ist ein leichtes Zucken um seine Mundwinkel, als ob er das ganz unterhaltsam fände . . .

Und schon erwacht meine deutsche Seele, wir sind ja nicht so leicht zu schocken, nee so nicht! Finden auch immer eine vernünftige Lösung, Busch hin, Schlangen her. Und in diesem Moment denke ich ganz vernünftig an Lösungen in der Größenordnung von etwa einem Zentner Gift ums Haus streuen oder das ganze Gelände samt Garten abfackeln oder auch, durchaus praktisch, mit genügend Dynamit da hinten sprengen, dass es nur so kracht. Und schließlich ganz simpel: weg hier – umziehen! „No worries“, das ist gerade eben nicht Bestandteil meiner Strategie.

„Das mit den Schlangen musst du gelassen sehen“, sagt er. Gelassen? Sonst noch was! War irgendjemand in Deutschland schon jemals irgendwo, irgendwie gelassen im Zusammenhang mit Giftschlangen?

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Wo Schlangen sich gerne sonnen


„Hast du gehört“, rufe ich am Abend beim Telefonieren mit HerrIngenieur, „er hat gesagt, da hinten leben SCHLANGEN!“

„Na klar, hat es da Schlangen, das ist doch Australien.“, sagt er da oben auf der sicheren nördlichen Halbkugel, „das haben wir doch vorher gewusst.“

„Natürlich haben wir das, aber nicht, dass wir sie als Hausgäste haben! Ist dir auch klar, was das bedeutet!“


Es bedeutet, wir werden nie – niemals – in kurzen Hosen durch hohes Gras zu unserem Teich gehen oder vom Weg abweichen und „querfeldein spazieren“. Barfuß gehen wir nur im Haus oder am Strand. An unwegsamen Stellen auf unserem Land stampfen wir mit unseren hohen Wanderschuhen so fest beim Gehen auf, dass eine Schlange die Vibration fühlt – denn hören kann sie nicht - und verschwindet, bevor wir weitergehen.


Tasmaniens Schlangen sind scheu, aber sehr giftig, da gibt es kaum Kompromisse und wir lernen, mit ihnen zu leben. Tasmaniens Ameisen sind fast genauso gefährlich und schwieriger zu ertragen, weil sie weit weniger sichtbar sind.

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Viele Monate später sage ich zu HerrIngenieur: „Ich habe gerade auf unserer Zufahrt da oben eine Tigerschlange gesehen, hat sich gesonnt und so wohl gefühlt, dass sie mein Auto nicht bemerkt hat – so friedlich!“

Ist noch zu erwähnen, dass ich sie nicht überfahren habe.

Links: Inchman, agressive bull dog ant, bis 2,5cm groß

und giftig - tut weh! (Siehe dazu den Post Info)

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